Die vegane Ernährung weist aus Sicht des Positionspapiers der DGE mit Protein bzw. Eiweiß einen weiteren kritischen Nährstoff auf. Es besteht aus Aminosäuren, und aus der Ernährung bezogenes Protein besteht meistens aus 20, allerdings sind nur 8 davon essenziell, können also nicht vom Körper selbst gebildet werden (Elmadfa & Leitzmann, 2015). Diese sind Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin. Bei Kindern ist zusätzlich Tyrosin essenziell, bei Neugeborenen sind es neben Tyrosin zusätzlich noch Arginin, Cystein und Histidin. Essenzielle Aminosäuren müssen über die Nahrung zugeführt werden.
Pflanzliches vs. tierisches Protein
Protein ist für den Körper sehr wichtig, denn ihm kommen zahlreiche Aufgaben zu. Es ist ein wichtiger Player im Stoffwechsel, da viele Prozesse davon abhängen. Darüber hinaus kommt Protein eine Kommunikationsfunktion zu, denn Enzyme, Hormone und Botenstoffe bestehen aus Protein (genauer gesagt manchmal aus Peptiden, die aber wie Proteine aus Aminosäuren zusammengesetzt sind). Proteine erfüllen ebenso eine Stützfunktion (Aufbau von Haaren, Haut, Muskeln) und sind an der Immunabwehr beteiligt, denn Antikörper sind Proteine.
Man hört oft, pflanzliches Protein sei im Vergleich zu tierischem minderwertig und man müsse zur Kompensation entsprechend mehr zuführen. Dies ist so nicht richtig (Rand et al., 2003). Die Verdaulichkeit pflanzlichen Proteins ist lediglich etwa 3 – 6 % geringer als die von tierischem Protein, je nachdem, welche pflanzliche mit welchen tierischen Lebensmitteln verglichen werden, wobei dieser hauchdünne Vorsprung für das tierische Protein grundsätzlich damit erklärt werden kann, dass pflanzliche Proteine in Studien normalerweise in rohem Zustand verabreicht werden, was die Verdaulichkeit aufgrund des Vorhandenseins von Proteaseinhibitoren etwas herabsetzt – jene werden durch Erhitzung inaktiviert. (Lajolo & Genovese, 2002; Mariotti, 2017). Ebenso erhöht Keimen, etwa von Vollkorngetreide, die Verfügbarkeit von Aminosäuren (Klose & Arendt, 2012). Somit dürfte der ohnehin hauchdünne Vorsprung für das tierische Protein hinfällig sein – es sind in Sachen Verdaulichkeit beide Proteinquellen als gleichwertig anzusehen.
Darüber hinaus verfügt pflanzliches Protein über gesundheitliche Vorteile, so sind etwa Bohnen (reich an pflanzlichem Protein) einen Prädiktor für Langlebigkeit, während tierisches Protein einen Risikofaktor darstellt (Allen et al., 2002; Darmadi-Blackberry et al., 2004; Fung et al., 2010). Interessanterweise scheinen gerade Veganer höhere Albuminwerte als Omnivore zu haben (Benzie & Wachtel-Galor, 2009). Albumin wird gerne als Marker verwendet, um zu bestimmen, ob genug Nahrungsprotein aufgenommen wird.
Vollwertige pflanzliche Lebensmittel enthalten grundsätzlich alle essenziellen Aminosäuren, allerdings in unterschiedlichen, für den Menschen nicht immer optimalen Mengen. Daher empfiehlt die DGE in ihrem Positionspapier (Richter et al., 2016) zu recht, über den Tag verschiedene pflanzliche Proteinquellen zu nutzen. Dies sind Hülsenfrüchte (Bohnen, Linsen, Erbsen, Kichererbsen), Nüsse und Samen sowie Vollkorngetreide. Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide sind z. B. eine geeignete Kombination (veganes Fatteh oder Vollkornbrot mit Hummus sind leckere Varianten), wobei die essenziellen Aminosäuren nicht in derselben Mahlzeit verzehrt werden müssen, es geht auch über den Tag verteilt (Young & Pellett, 1994), so dass sich etwa die Aminosäuren aus einem vollwertigen Müsli am Morgen mit denen im Kichererbsen-Curry am Abend gut ergänzen. Der Körper verfügt über einen Pool, in den über die Nahrung zugeführte Aminosäuren eingehen, die vom Organismus bedarfsgerecht zu Protein zusammengesetzt werden können. Dass in einer einzigen Mahlzeit alle essenziellen Aminosäuren enthalten sein müssten, ist somit ein Mythos.
Vegane Ernährung = Proteinmangel?
Es scheint im Rahmen einer rein pflanzlichen Vollwerternährung, die bedarfsdeckend ist, nur schwer möglich zu sein, zu wenig Protein aufzunehmen (McDougall, 2002), die Verdaulichkeit wurde weiter oben angesprochen. Der Umstand, dass sich die Proteinaufnahme bei Veganern nicht wesentlich von jener bei Mischköstlern unterscheidet (Rizzo et al., 2013), spricht ebenfalls für eine grundsätzlich ausreichende Proteinversorgung bei Veganern. Auf der anderen Seite ist zu viel (tierisches) Protein problematisch, so kann ein regelmäßiges Überschreiten der täglichen Verzehrsempfehlung der DGE für Erwachsene (0,8−1 g/kg Körpergewicht) beispielsweise zu Störungen des Calciumhaushalts in den Knochen und Nierenerkrankungen führen oder auch das Fortschreiten einer koronaren Herzerkrankung beitragen (Delimaris, 2013). Pflanzliches Protein sollte bevorzugt werden.
In Teil 3 dieser Artikelserie werden wir weitere kritische Nährstoffe besprechen.