Vegane Ernährung und kritische Nährstoffe, Teil 1: Vitamine B12, B2 und D

Vegane Ernährung Vitamine

Kri­ti­sche Nähr­stof­fe sind Nähr­stof­fe, deren Zufuhr unzu­rei­chend sein kann, wenn man sei­ne Ernäh­rung nicht gut plant. Bei einer Misch­kost kön­nen z. B. Bal­last­stof­fe und Fol­säu­re knapp wer­den, eine vega­ne Ernäh­rung kann eben­falls kri­ti­sche Nähr­stof­fe auf­wei­sen. Grund­la­ge die­ser Arti­kel­se­rie ist das Posi­ti­ons­pa­pier der Deut­schen Gesell­schaft für Ernäh­rung (DGE) zur vega­nen Ernäh­rung (Rich­ter et al., 2016).

Bei der Lek­tü­re des Voll­tex­tes des Posi­ti­ons­pa­piers nimmt man eine im all­ge­mei­nen posi­ti­ve Hal­tung der DGE gegen­über einer vega­nen Ernäh­rung wahr. So gehen die Autoren bei­spiels­wei­se von einer Risi­ko­sen­kung für ernäh­rungs­ab­hän­gi­ge Erkran­kun­gen aus. Auch hal­ten sie bei einer geziel­ten Lebens­mit­tel­aus­wahl und guten Pla­nung eine bedarfs­de­cken­de vega­ne Ernäh­rung für möglich.

Die posi­ti­ve Hal­tung über­rascht vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len Ernäh­rungs­emp­feh­lun­gen der DGE nicht, da 75 % des sog. Ernäh­rungs­krei­ses ohne­hin aus pflanz­li­chen Lebens­mit­teln besteht. Mit ande­ren Wor­ten: Die DGE emp­fiehlt eine pflan­zen­be­ton­te Kost und ver­tritt hier­bei sogar das Prin­zip der Voll­wert­er­näh­rung, das auch bei einer vega­nen Ernäh­rung zu bevor­zu­gen ist, da voll­wer­ti­ge Lebens­mit­tel auf­grund der mini­ma­len Ver­ar­bei­tung noch all ihre Nähr­stof­fe enthalten.

Auch ver­weist die DGE in ihrem Posi­ti­ons­pa­pier auf die wis­sen­schaft­lich aus­ge­ar­bei­te­te Gie­ße­ner vega­ne Ernäh­rungs­py­ra­mi­de), die ver­an­schau­licht, wie eine vega­ne Ernäh­rung zusam­men­ge­stellt sein soll­te, um bedarfs­de­ckend zu sein.

Gleich­zei­tig äußert die DGE bzgl. der vega­nen Ernäh­rung eini­ge Einwände:

  • Es muss Vit­amin B12 sup­ple­men­tiert wer­den (dazu s. u.). Die rele­van­ten Blut­wer­te soll­ten regel­mä­ßig, etwa im jähr­li­chen Abstand, durch den Haus­arzt kon­trol­liert wer­den. Anmer­kung: Hier eig­nen sich beson­ders das Holo-Trans­co­ba­la­min oder die Methylmalonsäure.
  • Zur aus­rei­chen­den Nähr­stoff­ver­sor­gung sind nähr­stoff­dich­te und ange­rei­cher­te Lebens­mit­tel zu inklu­die­ren. Anmer­kung: Die­se Emp­feh­lung gilt zwei­fels­frei auch für ande­re Ernährungsformen.
  • Bera­tung durch eine qua­li­fi­zier­te Ernäh­rungs­fach­kraft, die über Erfah­rung mit vega­ner Ernäh­rung verfügt.
  • Kei­ne Emp­feh­lung der vega­nen Ernäh­rung für Schwan­ge­re, Stil­len­de, Säug­lin­ge, Kin­der und Jugendliche.

Ande­re Ernäh­rungs­fach­ge­sell­schaf­ten äußern jene Beden­ken nicht, so hält bei­spiels­wei­se die Aca­de­my of Nut­ri­ti­on and Die­te­tics (Melina et al., 2016) eine vega­ne Ernäh­rung in allen Lebens­ab­schnit­ten für gesund und bedarfs­de­ckend, wenn sie gut geplant ist. Ähn­lich äußern sich etwa die Bri­tish Nut­ri­ti­on Foun­da­ti­on (2005), Die­ti­ti­ans of Cana­da (2014) sowie das Natio­nal Health and Medi­cal Rese­arch Coun­cil of Aus­tra­lia (2013). Eine ana­lo­ge Sicht­wei­se ver­tritt die Cana­di­an Pedia­tric Socie­ty in ihrem Posi­ti­ons­pa­pier sogar bzgl. einer vega­nen Ernäh­rung in allen Pha­sen des Kindesalters.

„Gut geplant“ lau­tet die Zau­ber­for­mel – denn es ver­steht sich von selbst, dass jede Ernäh­rungs­form irgend­wie geplant wer­den muss, damit man kei­ne Nähr­stoff­de­fi­zi­te erlei­det – das­sel­be gilt natür­lich ent­spre­chend für eine vega­ne Ernährung.

Warum nimmt die DGE hier eine eher zurückhaltende Position in Bezug auf vegane Ernährung ein, wo sich doch die wissenschaftliche Datengrundlage nicht unterscheidet?

Ein Grund liegt in der unter­schied­li­chen Ver­füg­bar­keit ange­rei­cher­ter Lebens­mit­tel: In Nord­ame­ri­ka sind im Ver­gleich zu Deutsch­land sol­che Lebens­mit­tel in grö­ße­rer Band­brei­te ver­füg­bar, so dass dort bei vega­ner Ernäh­rung weni­ger Auf­merk­sam­keit auf eine Sup­ple­men­tie­rung gelegt wer­den muss.

Ein wei­te­rer Grund sind Unter­schie­de im Mine­ral­stoff­ge­halt der Böden: Bei­spiels­wei­se sind nord­ame­ri­ka­ni­sche Böden rei­cher an Selen als euro­päi­sche, was eine direk­te Aus­wir­kung auf den Selen­ge­halt von bei­spiels­wei­se Getrei­de hat (Bie­sal­ski, 2016). Um die gerin­gen Selen­ge­hal­te euro­päi­scher Böden aus­zu­glei­chen, fin­det regel­mä­ßig eine Sup­ple­men­tie­rung von Tier­fut­ter statt (Hahn et al., 2015), was grund­sätz­lich allen Misch­köst­lern zugu­te kommt, nicht aber Vega­nern. Der Misch­köst­ler nimmt also Selen qua­si über den Umweg des Tie­res auf. Eine Anrei­che­rung der Böden mit Selen erschie­ne hier sinnvoller.

Nun sehen wir uns eini­ge kri­ti­sche Nähr­stof­fe einer vega­nen Ernäh­rung genau­er an.

Rein pflanzliche Ernährung und Vitamin B12

Vit­amin B12 (Coba­la­min) ist ein was­ser­lös­li­ches Vit­amin, das im Kör­per fol­gen­de Auf­ga­ben erfüllt: Es ist zum einen am Homo­cystein-Stoff­wech­sel betei­ligt. Homo­cystein wie­der­um wird u. a. für die Pro­te­in­bio­syn­the­se, d. h. die kör­per­ei­ge­ne Her­stel­lung von Pro­te­inen, benö­tigt, aller­dings kann sich der Homo­cystein-Spie­gel bei einem Vit­amin B12-Man­gel (und/oder bei einem Folat- und/oder einem Vitamin‑B6-Man­gel) erhö­hen, was einen Risi­ko­fak­tor für das Auf­tre­ten einer Koro­na­ren Herz­er­kran­kung dar­stellt. Wich­tig ist auch, dass der Kör­per Folat nicht nut­zen kann, wenn nicht gleich­zei­tig Vit­amin B12 vor­han­den ist. Des wei­te­ren ist Vit­amin B12 (über Zwi­schen­schrit­te) an der Ener­gie­er­zeu­gung inner­halb der Zel­len betei­ligt. Ein Vit­amin B12-Man­gel wür­de sich also sys­te­misch auswirken.

Die­ses Vit­amin wird weder von Pflan­zen, noch von Tie­ren, son­dern von Bak­te­ri­en erzeugt, die im Erd­reich vor­kom­men. Als unse­re Vor­fah­ren noch unge­wa­sche­nes Gemü­se geges­sen und unbe­han­del­tes Quell­was­ser getrun­ken haben, konn­ten sie so Vit­amin B12 auf­neh­men. Doch heu­te waschen wir unser Gemü­se und rei­ni­gen unser Trink­was­ser, so dass dort kei­ne Bak­te­ri­en mehr vor­han­den sind (was gut ist, denn so fan­gen wir uns auch kei­ne Infek­tio­nen ein). Und daher kann man sagen: Vit­amin B12 ist ein Nähr­stoff, wel­cher der Hygie­ne „zum Opfer fällt“. Es ist somit nicht mehr von Natur aus in unse­rer Ernäh­rung enthalten.

In der Nutz­tier­hal­tung wird Vit­amin B12 dem Fut­ter zuge­ge­ben, wobei Wie­der­käu­er, im Gegen­satz zu ande­ren Tie­ren, einen Teil ihres Bedarfs selbst decken kön­nen, da sie in ihrem Magen Bak­te­ri­en haben, die Vit­amin B12 erzeu­gen (von Engel­hardt & Bre­ves, 2005). Es ist auch mög­lich, dass sich Vit­amin B12 ent­lang der Nah­rungs­ket­te anrei­chert, da die ent­spre­chen­den Spei­cher (z. B. in Form von Mus­kel­fleisch) ver­zehrt werden.

Aller­dings zeigt sich, dass es bes­ser ist, Vit­amin B12 direkt zu sup­ple­men­tie­ren, als es über den Umweg des Tie­res auf­zu­neh­men. Denn die bes­ten Vitamin‑B12-Spie­gel haben gera­de Per­so­nen, die regel­mä­ßig sup­ple­men­tie­ren (Tucker et al., 2000). Durch die geeig­ne­te Sup­ple­men­tie­rung ist es also sehr leicht, sicher und auch kos­ten­güns­tig, einem Vitamin‑B12-Man­gel vorzubeugen.

Vega­ner sind nicht die ein­zi­ge Per­so­nen­grup­pe, die Vit­amin B12 sup­ple­men­tie­ren soll­te, dies gilt auch all­ge­mein für Per­so­nen über 50 (Die­ti­ti­ans of Cana­da, o. J.; Natio­nal Insti­tu­tes of Health, o. J.). Auch Vege­ta­ri­er kön­nen von einer Sup­ple­men­tie­rung pro­fi­tie­ren, da die Bio­ver­füg­bar­keit von Vit­amin B12 aus Eiern unzu­rei­chend ist, Milch (-pro­duk­te) wären ansons­ten die ein­zi­ge Nah­rungs­quel­le (Watana­be, 2007). Wie gesagt las­sen sich die bes­ten Vitamin‑B12-Spie­gel durch eine regel­mä­ßi­ge Sup­ple­men­tie­rung errei­chen (Tucker et al., 2000).

Inter­es­sant ist, dass 8 % der Män­ner bzw. 26 % der Frau­en in Deutsch­land nicht die emp­foh­le­ne Tages­zu­fuhr für Vit­amin B12 errei­chen (MRI, 2008). Vor dem Hin­ter­grund, dass es in Deutsch­land nur ca. 1,3 Mil­lio­nen Vega­ner gibt (Sko­pos, 2016), wird klar, dass es sich nicht um ein nur „vega­nes“ Pro­blem handelt.

Rein pflanzliche Ernährung und Vitamin B2

Ribo­fla­vin, oder Vit­amin B2, ist der nächs­te Nähr­stoff, der aus Sicht der DGE kri­tisch sein kann. Im Posi­ti­ons­pa­pier wer­den jedoch Nüs­se, Samen, Hül­sen­früch­te (Legu­mi­no­sen, d. h. Boh­nen, Kicher­erb­sen, Erb­sen und Lin­sen), Gemü­se wie Brok­ko­li und Grün­kohl sowie Voll­korn­ge­trei­de als geeig­ne­te Lie­fe­ran­ten genannt. Bei aus­rei­chen­der täg­li­cher Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln aus die­sen Grup­pen kann eine gute Ver­sor­gung sicher­ge­stellt werden.

Vit­amin B2 ist als Coen­zym an ver­schie­de­nen Stoff­wech­sel­pro­zes­sen betei­ligt, u. a. im Rah­men der Ener­gie­ge­win­nung in den Zel­len oder auch beim Stoff­wech­sel ande­rer Vit­ami­ne. Damit nimmt es eine bedeu­ten­de Rol­le im Rah­men der Zell­funk­ti­on ein.

Vitamin D

Vit­amin D ist eigent­lich ein Hor­mon (1,25-Dihydroxycholecalciferol oder Cal­ci­tri­ol) und för­dert die Cal­ci­um­auf­nah­me. Es wird im Kör­per von Tie­ren wie uns selbst bei aus­rei­chen­dem Son­nen­licht pro­du­ziert. Daher über­rascht es ein wenig, Vit­amin D in der Lis­te kri­ti­scher Nährstof­fe vor­zu­fin­den, der Vit­amin-D-Spie­gel hängt auch kaum von der Ernäh­rungs­form ab (Chan et al., 2009), son­dern viel­mehr davon, ob wir uns aus­rei­chend drau­ßen auf­hal­ten, v. a. in den Som­mer­mo­na­ten. In der kal­ten Jah­res­hälf­te und wenn wir uns haupt­säch­lich im Innen­be­reich auf­hal­ten, ist eine Sup­ple­men­tie­rung sinn­voll, es gibt auch rein pflanz­li­che Vitamin-D-Supplemente.

Grund­sätz­lich ist fest­zu­hal­ten, dass Vit­amin D zwar schon ein kri­ti­scher Stoff ist, aber nicht spe­zi­ell für Vega­ner, son­dern für die gesam­te Bevöl­ke­rung, denn 82 % der Män­ner und 91 % der Frau­en errei­chen noch nicht ein­mal die emp­foh­le­ne Min­dest­zu­fuhr (MRI, 2008), die aller­dings gerin­ger als die opti­ma­le Zufuhr ausfällt.

Im fol­gen­den zwei­ten Teil der Arti­kel­se­rie betrach­ten wir Pro­te­in als wei­te­ren kri­ti­schen Nährstoff.

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